Revierpraxis,Tipps & Tricks

Tarnen und Täuschen

Welcher Jäger wäre nicht gerne ab und an unsichtbar? Auf der Pirsch auf den letzten Metern vor dem anvisierten Stück oder bei der Drückjagd vor der frontal anwechselnden Rotte nicht wahrnehmbar zu sein hätte unbestreitbar seine Vorteile und würde sich garantiert sehr positiv auf die eigene Strecke auswirken.

Immer mehr und immer ausgefallenere Tarnmuster wie Optifade, Xtra Green und Demorphing kommen daher auf den Markt und versprechen dem Jäger eine ähnliche Wirkung wie Siegfrieds gute, alte Tarnkappe aus dem Nibelungenlied.

Was davon ist reines Wunschdenken und wie kann man Tarnung wirkungsvoll für den eigenen Jagderfolg nutzen? Mehr dazu in den folgenden Zeilen.

Wahrnehmung des Wildes

Um zu verstehen, wie Tarnung funktioniert muss man verstehen, wie Tiere ihre Umgebung visuell wahrnehmen. Stark vereinfacht dargestellt, funktioniert die Wahrnehmung bei allen Säugetieren annähernd gleich: Licht fällt durch eine Linse auf Rezeptoren im Augengrund, die diese Information dann in ein, für das Gehirn, verständliches Signal umwandeln. Dies übernehmen zwei unterschiedliche Rezeptoren, die Zapfen und die Stäbchen. Die Zapfen sind dabei für das Tages- und Farbsehen, die Stäbchen für das Sehen in der Dämmerung verantwortlich.

Je nach Lebensweise spezialisierte sich bei Raub- und Beutetieren dieses Grundprinzip. Bei Raubtieren und dem Menschen spezialisierten sich die Augen durch ihr überlappendes Gesichtsfeld auf ein räumliches Tag- und Nachtsehen. Bei Beutetieren, wie unseren einheimischen Schalenwildarten bildete sich durch ein wenig überlappendes Gesichtsfeld eine auf Rundumsicht und das Bewegungssehen spezialisierte Wahrnehmung aus.

Gesichtsfeld Schalenwild

Gesichtsfeld Schalenwild

Gesichtsfeld Beutegreifer

Gesichtsfeld Beutegreifer

In diesen, sich nicht überlappenden Bereichen sieht Schalenwild nur sehr unscharf, nimmt aber sogar die kleinste Bewegung „aus den Augenwinkeln“ wahr. Jeder Jäger kennt das: auf eine vom Wild wahrgenommene Bewegung folgendes Verhalten: es sichert starr zur Quelle der Bewegung und versucht durch Kopfbewegungen die verschiedenen Bildebenen scharf zu stellen. Danach folgt meist ein Scheinäsen und schnelles Aufwerfen des Hauptes in Richtung der vermeindlichen Gefahr. Erst wenn es dabei keine Indizien für Gefahr mehr wahrnimmt wird es beruhigt weiter äsen. Aus diesem Grund ist es zum Beispiel beim Pirschen von Vorteil Vegetation zwischen sich und dem Wild zu haben, da das Wild dann seine Wahrnehmung meist darauf scharfstellt und den im Bildhintergrund unscharf regungslos verharrenden Jäger „übersieht“.

Für das Farbsehen sind bei Wild zwei verschiedene Zapfentypen verantwortlich: ein Rezeptor für kurzwelliges Licht von Ultraviolett bis Blau und einer für die Wahrnehmung von Grün und Gelb. Der für das Wild am schlechtesten wahrnehmbare Bereich ist der Übergang von grün über gelb zu braun. Einen Rezeptor für die Wahrnehmung von Rot sucht man bei den meisten Säugetierarten vergebens. Deshalb nehmen diese Rot nur in Schattierungen (hell/dunkel) wahr. Nur Vögel können Rottöne wahrnehmen – eine wichtige Information für den nächsten Entenstrich!

Wie sieht denn Wild nun? Man kann die visuelle Wahrnehmung mit dem eines kurzsichtigen, Menschen mit einer ausgeprägten Rot-Grün-Schwäche vergleichen, der grüne, gelbe und rote Farbtöne als grün bis gelb wahrnimmt. Raub- und Schalenwild äugt in der Dämmerung und bei Nacht wesentlich besser als der Mensch. Dies liegt daran, dass die dafür verantwortlichen Rezeptoren (Stäbchen) fast doppelt oft vorhanden sind, wie die für das Farbsehen zuständigen Rezeptoren (Zapfen). Die lichtempfindlichen Stäbchen können jedoch nur Schwarz-Weiß Abstufungen wahrnehmen.

Blautöne haben übrigens eine ähnliche Wirkung auf Wild wie Blaze Orange auf den Menschen. Hierin liegt einer der Gründe, warum man bei der Jagdausübung keine Jeans tragen sollte. Aber auch einfarbig dunkelgrüne Farbtöne, wie das beliebte Lodengrün sind in der Dämmerung und Nacht nicht wirklich brauchbar, da sie vom Wild als sehr hell wahrgenommen wird. Dieses Wissen kann für jeden Jäger auf Ansitz oder Pirsch über Erfolg oder Nichterfolg entscheiden.

Wie wirkt Tarnung und was soll sie bezwecken?

Tarnung dient dazu ,das Erscheinungsbild des Jägers so zu verändern, dass sie für das Wild nicht mehr, nur mit Mühe oder zu spät wahrnehmbar ist. Dies geschieht mit Hilfe von Kleidung mit Tarnmuster, Bewegungslosigkeit oder dem Gelände und der natürlichen Schattenbildung angepassten Bewegungslinien.
Nicht nur die säulenartige menschliche Silhouette mit seinem typisch eckigen Schulter-Kopfprofil schreckt das Wild auf, sondern auch die Bewegung der meist unverhüllten und damit weithin sichtbaren hellen Hände oder des hellen Gesichts hat Signalwirkung.

Typisch menschliches Schulter-Kopfprofil

Typisch menschliches Schulter-Kopfprofil

Hier hilft z.B. der Schatten eines Hut- oder Mützenschirm, Gesichtschleier, Sturmhaube, ein Bart, spezielle Tarnschals und – Handschuhe um die Silhouette aufzulösen und so den ansitzenden Jäger mit seiner Umgebung verschwimmen zu lassen.

Tarnung und die liebe Tradition

In anderen Ländern längst schon essentieller Bestandteil der Jagd ist Tarnbekleidung hierzulande unter den Traditionalisten verpönt und fast schon zum Dogma geworden. Der Spruch: “wir gehen auf die Jagd und ziehen nicht in den Krieg” und „wer bei mir mit so was auftaucht, der kann direkt wieder gehen“ musste ich mir als Jungjäger öfter anhören, wenn ich mit einer Bundeswehr- Flecktarnhose bei der Jagd auftauchte. Ob deren Verwendung wirklich einen effektiven Nutzen erzielte oder ob ich trotz meiner Bekleidung Beute machte lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. Was sich aber feststellen lässt ist: Tarnung muss nicht sozial kompatibel sein, sondern funktionieren und: wer Beute macht hat recht!
Wem sein Tiroler Strichloden, Kniebundhosen und Bommelsocken von jeher zur Jagd und ein roter Pullunder zur Drückjagd genügt, den werde ich auch mit noch so vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen und positiver Erfahrung nicht von der Zweckmäßigkeit von Tarnbekleidung überzeugen und seiner Meinung abbringen können.

Von Jahr zu Jahr sehe ich aber mit Begeisterung, bei den traditionelleren Drückjagden mehr und mehr Jäger in Realtree AP Blaze. Der deshalb oft beschworene Untergang des Abendlandes indes lässt bislang auf sich warten.

Tarnmuster

Die verschiedenen Jagdausstatter halten eine auf verschiedene Umgebungen abgestimmte Produktpallette bereit, die für den jeweiligen Einsatzzweck gut funktionieren. Will man aber mit seiner Realtree AGP (waldtarn) Jacke auf Entenjagd ins Schilf wird eine neue, teure Jacke in Advantage MAX-4 (schilftarn) fällig, zur Drückjagd Realtree AP Blaze und im Winter dann Realtree AP Snow. Ein recht kostspieliges Vergnügen, dass sich oft für 2-3 Anwendungen im Jahr nicht wirklich lohnt. Das Realtree Xtra Green stellt für mich einen guten Kompromiss dar, der einerseits die meiste Zeit des Jahres funktioniert und andererseits zu einem guten Preis – Leistungsverhältnis bei verschiedenen Hersteller zu haben ist,

Militärische Tarnmuster sind zwar für das menschliche Auge konzipiert, funktionieren bei Wild nur begrenzt und sind wie zum Beispiel das amerikanische woodland Camouflage oder das deutsche Flecktarn für die Jagd in unseren Breiten meist zu dunkel. Aus eigener Erfahrung gibt es aber das eine oder andere militärisch genutzte Tarnmuster, dass auch in unseren Breiten recht gut bei der Jagd funktioniert:

Multi Terrain Patern (MTP)

Multi Terrain Patern (MTP)

Das relativ helle britische Multi Terrain Patern (MTP) verwende ich zum Pirschen und bei der Blattjagd. Es deckt bei mir einen Großteil des Jahres ab. Für Spezialfälle, wie Entenjagd im Schilf, Pirschen im Getreide oder den Ansitz auf Stoppeln eignet sich digital Dessert recht gut und für die Winterpirsch der BW Schneetarnanzug oder -Poncho. Großer Vorteil dieser meist auch gebraucht erhältlichen Militärbekleidung ist sein fast unschlagbares Preis – Leistungsverhältnis. Beim Kauf sollte man darauf achten, dass man die Bekleidungsstücke ruhig eine Nummer größer kauft. Dann kann man seine „normale“ Jagdbekleidung drunter tragen und zum Beispiel die Tarnjacke sozialkompatibel erst am Stand drüber ziehen.

Tarnung in der Revierpraxis

Beim Tarnen sind zwei Dinge wichtig: die Wahrnehmung des Wildes und die Umgebungsvegetation. So nützt es zB. nichts sich mit einem Schneehemd in eine grüne Dickung zu setzen. Ebenso wenig wird einem die Advantage MAX-4 – Cap alleine auf den Stoppeln mit der Umgebung verschmelzen lassen.
Auf Ansitz in geschlossenen Kanzeln trage ich eher dunkle, einfarbige Bekleidung und achte darauf, das mein Gesicht entweder im Schatten liegt oder durch einen Schleier oder Sturmhaube nicht von der tiefstehenden Sonne oder Vollmond angestrahlt heller erstrahlt als meine Umgebung. Hier wäre helle Tarnkleidung wie MTP oder Desserttarn eher kontraproduktiv.

Die neuste Entwicklung in Sachen Tarnbekleidung soll Dank verschiedener Filtertechniken nicht nur optisch tarnen, sondern für den Windfang der Wildes geruchlich unsichtbar machen. Diese Geruchsfilter basieren entweder auf eingearbeiteten Silberpartikeln oder aufgedampfter Aktivkohle. Verschiedene Produkte, wie spezielle Sprays, Duschgels, Deodorants oder Waschmittel sollen den Körpergeruch zuverlässig eliminieren. Wer diesen erhöhten Aufwand betreiben will sollte wissen, dass die Lagerung und der Transport die Kleidung ins Revier in geruchsneutralen Behältern erfolgen sollte, da die Kleidung ansonsten den Duft der Umgebung (z.B. Wohnung, Fahrzeug, Zigaretten etc.) annimmt und am Wild nicht mehr funktioniert. Ob man diesen, auch finanziell erhöhten Aufwand betreiben will um mit dem Wind pirschen zu können oder ob man sich weiterhin auf sein Wissen und jagdliches Handwerk verlässt muss jeder für sich selbst entscheiden. Darüber hinaus ist es für mich eine Frage der Jagdethik, ob ich alles was technisch möglich ist auch tatsächlich verwenden muss oder ob ich mich wohler dabei fühle, wenn das Wild auch eine reelle Chance hat zu entkommen…

Fazit

Bei aller Begeisterung über neue Technologien und Tarnmuster sollte man nicht vergessen, dass Witterung, Geräusche und Bewegung weit wichtigere Faktoren in der Wahrnehmung des Wildes sind. Das heißt, dass man zum Beispiel auch mit noch so perfekt angepassten Tarnbekleidung, Gesichtsschleier und Handschuhen bei falschem Wind oder metallisches Klicken der Waffensicherung zuverlässig das Wild vergrämt. Auch nützt einem die teuerste Tarnjacke nichts, wenn dem Wild Gesicht oder Hände im blendenden Weiß, die verchromte Waffe im Mondlicht oder der Leuchtpunkt entgegen strahlen.

Da es bei der Verwendung von Tarnung sehr auf die Wahrnehmung der zu bejagenden Wildart ankommt setze ich lieber verschiedene, der jagdlichen Situation angepasste Tarnmuster ein, als das ganze Jahr hindurch mit der immer gleichen Realtree 4D Jacke durch Wald und Feld zu laufen und damit beim Wild mehr Aufsehen zu erregen als für uns Menschen ein Feuerwehrwagen mit Blaulicht. In der gleichen Liga spielen übrigens auch, die oft an Jägerhüten gesehenen, Schieß- oder Vereinsnadeln im glänzenden blinkenden Gold oder Silber..

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