Wenige Dinge sind im Europa des 21sten Jahrhundert so aus der Zeit gefallen, wie die Jagd. In weiten Teilen der Öffentlichkeit ist es ratsamer sich zu abnormen Sexualpraktiken, Drogenkonsum oder als Fan des Dschungelcamps zu bekennen, als sich als Jäger zu outen. Fleisch erhält man möglichst denaturiert in Verpackungen auf denen pittoreske Bauernhöfe aber schon keine Tierabbildungen prangen. Viel Geld auszugeben um mit einer Waffe und Tötungsabsicht in den Wald zu gehen sowie womöglich sogar noch jagdliches Brauchtum zu pflegen ist schon … rechts und damit ähnlich populär wie Satanismus im Mittelalter.
Auf jeden Fall eiern die meisten Waidmänner um die Antwort herum, warum sie jagen. Hege und Pflege, Naturerlebnis und so weiter. Das sind alles sachlich sinnvolle Argumente, allein sie sind nicht wirklich ausschlaggebend und dies spürt der Ankläger so deutlich wie ein Hund den Schweißgeruch einer Fährte. Die wirkliche Ursache dieser reaktionären Leidenschaft ist eine andere und schwer in Worte zu fassen.
Grund genug sich mit José Ortega y Gasset zu befassen, einem der originellsten Philosophen des letzten Jahrhunderts, der mit seinem Buch „Meditationen über die Jagd“ eine Lanze für das Waidwesen gebrochen hat. Unter dem Eindruck der Weimarer Republik verfasste er in den 1930er Jahren sein Buch „Der Aufstand der Massen“. Einer der Kernsätze des Buches lautet: „Anderssein ist unanständig. Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigenbegabt und erlesen ist. Wer nicht ‚wie alle‘ ist, wer nicht ‚wie alle‘ denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden.“ Ob Ausschaltung nun Exekution oder nur soziale Ächtung bedeutet ändert sich. Im Kern hat er recht.
Obwohl sich y Gasset von Anfang an gegen den Nationalsozialismus und später Francos Militärputsch wandte, auch kurz nach Beginn des Bürgerkrieges Spanien verließ, gilt er in Deutschland aufgrund seiner Ablehnung sozialistischer Parteien dummerweise als reaktionärer Rechter, was mehr gegen das intellektuelle Klima in Deutschland als gegen Gasset spricht, denn der Treppenwitz der Weltgeschichte ist, dass sich die Nationalsozialisten als „die deutsche Linke“ betrachteten.
Der Sozialwissenschaftler Frank Peter Geinitz beschreibt y Gasset so: „Wie viele seiner Landsleute ist Ortega vom Instinkt her konservativ, in seinen Gewohnheiten liberal und von einer angeborenen Tendenz her […] ein intellektueller Anarchist.“
Der bekannte Geschichtsprofessor und Journalist Michael Martin Stürmer vergleicht den Aufstand der Massen mit der berühmten Rede des bedeutenden Psychiaters und Philosophen Karl Jaspers über Die geistige Situation der Zeit von 1931. Während Jaspers mit dem kalten Blick des Kritikers seine Zeit sezierte stellte sich Ortega „zur selben Zeit ähnliche Fragen, weniger systematisch und dafür lebensnäher, weniger verschlüsselt und daher mit mehr Wirkung.“ Daher nennt Stürmer den Essay „ein Hauptwerk europäischer Selbstkritik im Augenblick des Innehaltens, bevor Japan in die Mandschurei einfiel, die deutsche Republik der totalitären Versuchung verfiel, die USA im New Deal einen neuen Modus von Staat und Gesellschaft suchten, die spanische Republik im Bürgerkrieg verblutete.“
Meditationen über die Jagd ist ein schmaler Band, denn ursprünglich bildete es nur das Vorwort für das längst vergessene Jagdbuch des mit ihm befreundeten Grafen Yebes. Das edel gestaltete Bändchen von nur 223 Seiten ist mit vielen stimmungsvollen Zeichnungen Rupprecht Freiherr von Nagel illustriert
Nach einem kurzen Vorwort wird die Philosphie der Jagd in neun Kapiteln dargelegt, von denen ich auf zwei näher eingehen möchte.
Erstes Kapitel: Jagd und Glück
Im Gegensatz zu dem Tier, dessen Leben durch Instinkte vorprogrammiert ist, sind Menschen grundsätzlich frei. In der Praxis müssen sie sich jedoch damit beschäftigen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diesen erzwungenen Beschäftigungen müssen sie einen Großteil ihrer wachen Lebenszeit widmen. Die Arbeit ist auf das Ergebnis zielgerichtet Geld zu verdienen. Vielleicht sogar genug, um sie irgendwann beenden zu können, um endlich wahrhaft zu leben.
Wahrhaft leben zu können ist die Berufung, zu der wir uns hingezogen fühlen. Diese Tätigkeiten sind an sich so beglückend, dass ihr Ergebnis nebensächlich wird und wir uns wünschten sie würden niemals enden, wenn wir bei ihnen nicht gar die Zeit vergessen. Nur hier empfinden wir „einen flüchtigen Vorgeschmack der Ewigkeit“.
Nur ein geringer Teil der Menschheit war nicht von der Last schnöder Erwerbsarbeit bedrückt und genoss den größten Spielraum glücklich zu sein: Die Aristokraten. Unter den traditionellen Beschäftigungen der Aristokratie nimmt die Jagd seit der Antike einen hervorragenden Platz ein. Da die Jagdlust so verbreitet war, schränkten die Mächtigen sie ein und reklamierten sie als ihr exklusives Privileg, denn sonst hätte es bald keine Jagd mehr gegeben. Dieses Verbot erzeugte bei den unteren Schichten einen Groll der zu den Ursachen der Französischen Revolution gezählt wird. Eines der ersten Rechte der Bürger der Republik war das allgemeine Jagdrecht. Endlich konnten Männer des Volkes den Mächtigen nacheifern und bei der Jagd Gewandtheit, Courage und Kraft beweisen und Beute machen.
Diese Fähigkeiten sind notwendig, denn die Jagd ist kein Vergnügen von der Art, welches man passiv genießt. Schon Aristoteles erkannte, dass Glück immer in einem Tun besteht, für das man angestrengt Energie aufwenden muss. Der Unterschied zur Arbeit liegt darin, dass Sport eine Anstrengung ist, der man sich freiwillig aus reiner Freude an der Sache widmet während man nur gezwungenermaßen im Hinblick auf ein monetäres Ergebnis arbeitet.
Drittes Kapitel: Das Urwesen der Jagd
In ihrem Kern hat sich die Jagd seit ihren vorzeitlichen Anfängen nicht verändert. Die altsteinzeitliche Höhlenmalerei einer Treibjagd auf Hirsche unterscheidet sich nur in der Bewaffnung der Jäger von einer zeitgenössischen Veranstaltung. Um die Balance des Waidwerk zu erhalten, wurde mit dem Fortschreiten der rationalen und technischen Möglichkeiten die Jagd sportlich.
Der Jäger legte sich selbst Beschränkungen auf um seine Überlegenheit zu mindern, denn obwohl das verfolgte Wild meist über schärfere Sinne, immer überlegene Schnelligkeit und oft Kraft verfügt, wäre es gegenüber den vollständigen Möglichkeiten der Menschen doch chancenlos. Ein Jäger nutzt ebensowenig militärische Waffen und Geräte ,wie ein Angler darauf verzichtet, Handgranaten in Gewässer zu werfen. Doch wie im Tierreich ist die Jagd eine Interaktion zwischen einem handelndem und einem leidenden Wesen und kein Kampf auf Augenhöhe.
Wäre der Gejagte bei derselben Gelegenheit ebenfalls Jäger und würde mit derselben Absicht und ähnlichem Verhalten vorgehen – man denke an Gladiator und Raubkatze in einer römischen Arena – würden wir von einem Kampf sprechen. „Die Jagd ist unabänderlich eine Tätigkeit von oben nach unten.“ Ihr Zweck ist die Erbeutung des gejagten Tieres. Im Unterschied dazu haben weder Torero noch Stier nach ihrem Sieg Interesse an dem toten Körper des Gegners.
Bei der Jagd geht es darum, sich des Tierleibes einer anderen Gattung zu bemächtigen. Obwohl der menschliche Jäger überlegen ist, beschränkt er die Wahl seiner Mittel und gewährt der Beute Möglichkeiten zu entkommen, damit die Sache für ihn interessant bleibt. Für den wahren Jäger ist der Erfolg nicht wesentlich. Im Gegenteil besteht der Reiz im Jagen, dass es immer problematisch ist. Daher hält er „seine vernichtenden Kräfte in Schranken, er begrenzt und reguliert sie – das Veto par excellence ist die Schonzeit -; er bemüht sich, das Leben der Tierarten zu sichern und vor allem, lässt er ihnen im jagdlichen Umgang ihren Spielraum.“
„In der Jagd als Sport ist also ein ganz freier Verzicht des Menschen auf die Überlegenheit seines Menschtums enthalten. Das ist der ihr eigene edle Anstand. Anstatt alles zu tun, was er als Mensch tun könnte, legt er seinen übermäßigen Gaben Schranken auf und bemüht sich, die Natur nachzuahmen, das heißt, er macht aus freiem Entschluss einen Schritt zurück und gliedert sich ihr ein. Das ist vielleicht ein erster Einblick, warum es für den Menschen eine solche Wonne ist zu jagen. Wir werden es noch sehen.“
Zusammenfassung
In den weiteren Kapiteln beleuchtet José Ortega y Gasset warum man seit der Antike die Jagd als großartiges Mittel der Erziehung und Charakterbildung angesehen wurde und weswegen das Schwierigste bei der Jagd das Aufspüren des Wildes ist. Jagdgefährten wie Hund und Falke werden geschildert, der Ethos der Jagd erläutert und warum es nicht dasselbe ist, ein Tier mit der Fotokamera zu schießen: „man jagt nicht, um zu töten, sondern umgekehrt, man tötet, um gejagt zu haben.“ Dabei interessiert nicht der Tod des Tieres, sondern alles was unternommen werden muss, um den Abschluss der Jagd zu erreichen. Würde man dem Jäger den Tod des Tieres schenken, wäre er für ihn wertlos.
Wesenskern der Jagd ist, dass der weitgehend instinktlose und vernünftige Mensch sich aus dem ärgerlichen Arbeitsalltag verabschiedet und in den ebenso grandiosen wie grausamen Überlebenskampf der Natur eintaucht. Sobald er die frisch-würzige Waldluft einatmet und sich aufmerksam umschaut, ist ihm, als verlöre sein Leben an Gewicht, denn jetzt findet er zu den Wurzeln seiner Existenz zurück. In diesem archaischen Sport, in dem „er das, was er noch vom Tiere hat, vorübergehend in sich wachruft“ und sich beim Jagen in ein Raubtier verwandelt, genießt er wonnevoll seine „Ferien vom Menschsein“.
Rezension: Jens Werkmeister
Autor: José Ortega y Gasset
Titel: Meditationen über die Jagd
Verlag: Dürckheim Verlag München
2 Comments
Gunnar
Eine sehr schöne Zusammenfassung von Jens – Grund genug sich das Buch zu kaufen und um gleichzeitig dem Wesen der Jagd noch einmal nachzusinnen!
Wolf von Hobe
Ein richtig schönes, aber anspruchsvolles Buch. Ich bekam es mit 16 zur bestandenen Jägerprüfung und oben ausgeführte Gedanken haben zeitlebens mein jagdliches Verhalten, mein Denken über Natur u. Wild bestimmt u. mich gegen Anfeindungen der Nichtjäger und Besserwisser geschützt. Pflichtlektüre für jeden wahren Waidmann.